Basiswissen zur Analyse eines Gedichts
Basiswissen zur Analyse eines Gedichts
1. Sprecher im Gedicht, lyrisches Ich und lyrisches Du
Wie auch bei epischen Texten ist es wichtig, zwischen dem Sprecher im Gedicht und dem Autor zu unterscheiden. Der Sprecher im Gedicht ist eine fiktive Figur. Ihre Formulierungen können lediglich die persönlichen Empfindungen und Gedanken des Autors wiedergeben.
- Sprecher im Gedicht = lyrisches Ich
Die beiden Begriffe können synonym verwendet werden. - lyrisches Du
Das lyrische Du wird von Sprecher im Gedicht angesprochen, aber erscheint nicht als Figur
In einem Rollengedicht werden Erlebnisse, Gefühle, Gedanken einem oder mehreren vom Autor deutlich unterschiedenen Sprechern erzählt.
Der Sprecher im Gedicht/das lyrische Ich spricht aus einer spezifischen Haltung heraus, zum Beispiel objektiv, traurig, glücklich oder nachdenklich.
2. Vers
Anders als in Prosatexten wird in Gedichten das Zeilenende vom Verfasser festgelegt. Eine Zeile im Gedicht nennt man Vers.
3. Strophe und Strophenformen
Eine Strophe ist eine Einheit aus mehreren Versen. Die Strophengliederung kann, muss aber nicht mit der inhaltlichen Gliederung übereinstimmen.
Folgende Strophenformen finden sich häufig in der deutschen Lyrik:
- Distichon (Hexameter & Pentameter)
- Terzett und Quartett (Strophe aus 3 Versen, bzw. 4)
- Volksliedstrophe (einfach gebaute Strophe, mit Wechsel von Hebungen und Senkungen, meistens 4 Verse)
- freie Rhythmen (ohne festes Metrum, Reime und Strophengliederung)
4. Refrain
Ein Refrain (oder auch Kehrreim) ist eine regelmäßig wiederkehrende Gruppe von Versen oder von Worten bzw. Lauten.
5. Metrum und Versformen
Der Versfuß, auch Metrum genannt, ist die kleinste metrische Einheit.
Ein Versfuß besteht aus einer betonten und einer oder mehreren unbetonten Silben.
steigend
Jambus, Anapäst
fallend
Trochäus, Daktylus
Auftakt nennt man eine oder mehrere unbetonte Silben vor der ersten Hebung.
Versmaß ist die regelmäßige Abfolge von Versfüßen.
Versformen entstehen durch eine fest geregelte Anzahl von festgelegten Versfüßen.
- Knittelvers (vierhebiger Vers mit Reim, häufig mit freier Füllung)
- Blankvers (reimloser jambischer Vers, normal mit 5 Hebungen)
- Alexandriner (sechshebiger jambischer Vers mit Mittelzäsur)
- Hexameter (auftaktloser sechshebiger daktylischer Vers, einzelne Daktylen können auch durch Trochäen ersetzt werden)
- Pentameter (unvollständiger Hexameter mit Zäsur. Der dritte und sechste Versfuß bestehen nur aus einer Hebung)
6. Kadenz, Zeilenstil und Enjambement
Kadenz ist das Ende des Verses.
Endet er mit einer oder mehreren Senkungen, spricht man von einer weiblichen Kadenz.
Endet er mit einer Hebung, liegt eine männliche Kadenz vor.
Beim Zeilenstil fallen syntaktische Gliederung und Gliederung im Verse zusammen. Beim strengen Zeilenstil umfasst jede Zeile einen Satz.
Beim Enjambement (Zeilensprung) trennt das Versende eine syntaktische bzw. semantische Einheit.
7. Rhythmus
Rhythmus entsteht durch den Fluss des Sprechens. Dieser richtet sich nach inhaltlichen und sprachlichen Vorgaben des Textes sowie nach der Interpretation durch den Sprecher.
Rhythmus bildet sich auch durch die Betonung, durch lange und kurze Silben, durch Pausen und Sprachtempo.
Mögliche Eigenschaften des Rhythmus sind ruhig, drängend, tänzelnd, schwer, leicht, fließend, stockend.
8. Klang
Gedichte und Strophen können einen einheitlichen oder einen differenzierten Klangcharakter haben. Sie können hell, freundlich, weich, dumpf, hart, usw. klingen.
Helle Vokale (e, i, ei, ü) vermitteln meist eine heitere Stimmung, dunkle Vokale (a, o, u, au) oft eine düstere Stimmung.
Zur Gestaltung des Klangs tragen Klangfiguren bei wie Alliteration, Assonanz und Lautmalerei.
Auch Rhythmus, Metrum, Enjambement, Refrain und Reim prägen den Klang eines Gedichts.
9. Reim
Reimstellung
Anfangsreim: Das erste Wort zweier oder mehrerer Verse reimt sich
Binnenreim: Wörter innerhalb eines Verses bilden einen Reim
Endreim: Die Wörter am Ende von zwei oder mehreren Versen reimen sich
Qualität des Reims
- reiner Reim: Gleichklang von Wörtern vom letzten betonten Vokal
- unreiner Reim: unvollständiger Gleichklang von Wörtern vom letzten betonten Vokal
- rührender Reim: identisch klingelde Wörter mit unterschiedlicher Bedeutung
- identischer Reim: Gleichklang identischer Wörter
- Assonanz
Reimfolgen
Paarreim: a a b b
Kreuzreim: a b a b
umarmender Reim: a b b a
dreifache Reimreihe: a b c a b c
Schweifreim: a a b c c b
Einen Vers, der sich mit keinem anderen reimt, nennt man Waise.
Lyrische Formen
Arten lyrischer Texte lassen sich nach Inhalten bestimmen, z.B. politische Lyrik, Gedankenlyrik, Liebeslyrik.
Ballade
Erzählgedicht mit epischen, dramatischen und lyrischen Elementen
Beispiel: Goethe, der Zauberlehrling
Elegie
Gedicht mit beliebigen Inhalt, oft in Distichen, Gedicht im Ton wehmütiger Klage
Beispiel: Goethe, Römische Elegien
Epigramm
zugespitzer Sinnsprich, meist ein oder zwei Distichen
Beispiel: Goethe und Schiller, Xenien
Hymne
Lob- und Preisgedicht, freie Rhythmen, gehobene Sprache
Beispiel: Goethe, das Göttliche
konkrete Lyrik
Moderne Form der Lyrik, die den materiellen Charakter der Sprache betont und mit dem sprachlichen Material akustisch oder visuell eine Aussage gestaltet
Beispiel: Gedichte von Gomringer
Lied
Lyrik von singbaren Charakter, meist mit gleich gebauten Strophen, mit Reim und einfachem Vokabular
Ode
strophisches Gedicht ohne Reim, oft in antiken Versformen, hohe Sprachebene, häufige Themen sind Liebe, Heimat und Götter.
Beispiel: Hölderlin, Hyperions Schicksalslied
Sonett
strenge Form: 14 Verse mit zwei Quartetten und zwei Terzetten, These und Antithese in den Quartetten und Synthese/Zusammenfassung in den Terzetten. Oft im Alexandriner
Beispiel: Günderrode: Der Kuss im Traume