Rechtsextremismus
Rechtsextremismus
Das Bundesamt für Verfassungsschutz registriert seit dem Jahr 2014 eine Zunahme rechtsextremistischer Gewalttaten. Die Zahl der Gewaltdelikte mit rechtsextremistisch motivierten Hintergrund stieg im Jahr 2014 mit 990 Gewalttaten auf insgesamt 1600 rechtsextremistische Gewalttaten im Jahr 2016. Davon waren 907 der Gewaltdelikte im Jahr 2016 gegen Menschen in Asylunterkünften gerichtet (vgl. https://www.verfassungsschutz.de/de/arbeitsfelder/af-rechtsextremismus.html/ ab-gerufen am 3.09.2017).
Aufgrund der ansteigenden Gewaltdelikte ist erkennbar, dass das Thema Rechtsextremismus nach wie vor in Deutschland sehr aktuell ist.
Begriffsklärung
Der Begriff ‚Rechtsextremismus’ setzt sich aus den beiden Wörtern ‚Rechts’ und ‚Extremismus’ zusammen. Um ein besseres Verständnis für den Begriff Rechtsextremismus zu entwickeln, ist es zunächst wichtig sich mit dem Begriff Extremismus auseinanderzusetzen.
„Als extremistisch gelten Bestrebungen, die gegen die freiheitlich demokratischen Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben“ (Stöss, 2005: 16).
Somit wären alle Personen oder Gruppierungen die aktiv die Grundwerte der Demokratie bekämpfen als extremistisch zu bezeichnen. Diese können entweder links oder rechtsextremistisch sein, Terrororganisationen angehören etc. Demzufolge könnte der Begriff Extremismus als übergeordneter Begriff für die unterschiedlichen Gruppierungen stehen, die den Zweck verfolgen die Grundwerte der Demokratie zu bekämpfen (vgl. Borstel 2011:6).
Kritik an der Extremismustheorie bezieht sich dahingehend, dass „[…] Links- und Rechtsextremismus damit inhaltlich gleichgestellt werden […]“ und „[…] zu einem Randphänomen erklärt und mithin bagatellisiert wird“ (Stöss 2005: 19).
Bei dem Versuch den Begriff Rechtsextremismus zu bestimmen wird die Vielzahl der Definitionen erkennbar. Heitmeyer definiert den Begriff Rechtsextremismus anhand zweier Kriterien „[…] wenn die strukturell gewaltorientierte Ideologie der Ungleichheit verbunden wird zumindest mit der Akzeptanz von Gewalt“ (1988: 16).
Diese Definition ist allerdings sehr allgemein, da sie ebenfalls auf andere Gruppierungen beispielsweise Terrororganisationen etc. anwendbar wäre.
Nach Stöß ist der Begriff Rechtsextremismus „[…] ein Sammelbegriff für verschiedenartige gesellschaftliche Erscheinungsformen, die als rechtsgerichtet, undemokratisch und inhuman gelten“ (2005: 23).
Stöß geht dahingehend weiter, dass er eine Unterscheidung zwischen „[…]rechtsextremistischen Einstellungen und rechtsextremistischen Verhalten[…]“ trifft (Ebd.: 24).
Als rechtsextremistische Einstellungen gelten beispielsweise der Antisemitismus, Nationalismus, Rassismus.
Das rechtsextremistische Verhalten hingegen bezeichnet beispielsweise das Wahlverhalten von Menschen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppierungen. In diesen Modell von Stöß sind die Faktoren Einstellungen und Verhalten gleichgestellt, da sich aus den jeweils einen Faktor der andere Faktor entwickeln kann, aber nicht muss. Beispielsweise, wenn sich eine Gruppe in ihrem Verhalten durch Ausländerfeindlichkeit und Gewalt definiert, kann dies dazu führen, dass einzelne oder neue Mitglieder eine rechtsextremistische Einstellung entwickeln (vgl. Ebd.: 25f.).
Erklärungsansätze/ Ursachen
Es gibt zahlreiche und unterschiedliche Erklärungsansätze, die sich mit der menschlichen Entwicklung befassen und sich mit der Fragestellung beschäftigen „Warum Menschen so werden wie sie sind?“
Im Kontext dieser Hausarbeit ist folgende Fragestellung relevant „Warum werden Menschen rechtsextrem?“
Eine entscheidende Komponente für den Werdegang eines Menschen liegt unter anderem in der Sozialisation.
„Im Kern bezeichnet Sozialisation damit die Interaktion zwischen Individueller Entwicklung und den umgebenden sozialen Strukturen, wobei die Persönlichkeitserfahrungen aktiv und produktiv verarbeitet und sich dabei an Umfeldstrukturen anpassen oder sich von diesen abgrenzen kann“ (Hurrelmann et al. 2015: 146).
Demzufolge verändert sich das menschliche Individuum fortlaufend in seiner Entwicklung. Entscheidende Faktoren, die diese Veränderung positiv oder negativ beeinflussen können, sind zum einen genetische Veranlagungen und zum anderen Umwelteinflüsse wie beispielsweise Familie, Freunde etc.
„Sozialisation vollzieht sich in einem Wechselspiel von Anlage und Umwelt“ (Espenhorst 2006: 18).
Dieser Erklärungsansatz ermöglicht eine einfache Sicht auf die Komplexität menschlicher Entwicklung und die Ursachenforschung.
Eine weitere Theorie, die sich eingehender mit der Rechtsextremismusforschung befasst, ist die Desintegrationstheorie des Bielefelder Soziologen Heitmeyer. Diese knüpft an die Theorie der Risikogesellschaft von Beck an. Aufgrund veränderter gesellschaftlicher Strukturen, wie beispielsweise weniger Sicherheit in Bezug auf die Rente, befristete Arbeitsverhältnisse, keine traditionellen Familiensysteme können viele Menschen in der heutigen Gesellschaft nicht mithalten. Es wird immer ein höheres Maß an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit erwartet. Dabei nimmt der soziale Zusammenhalt ab und die Menschen sind mehr oder weniger auf sich allein gestellt (vgl. Heitmeyer 2012: 9ff.).
„Nach Heitmeyer stellt die Kehrseite der fortschreitenden Individualisierung und Modernisierung die zunehmende soziale, berufliche und politische Desintegration dar“ (Dünkel/Geng 1999: 211).
Um soziale Integration in einer Gesellschaft zu gewährleisten, ist es notwendig, dass die Gesellschaft Grundlagen zur Anerkennung auf drei unterschiedlichen Integrationsebenen bietet.
Die erste Ebene ist die sozio- ökonomische Ebene, die sich durch den Zugang an materiellen und kulturellen Gütern kennzeichnet. Das Individuum hat beispielsweise die Möglichkeit am Arbeitsleben teilzunehmen oder sich weiterzubilden und kann dadurch eine positionale Anerkennung beispielsweise eine hohe berufliche Stellung erlangen.
Die zweite Ebene befasst sich mit der politischen Integration. Durch den Ausgleich der Interessen, beispielsweise durch die Möglichkeiten in der Politik oder bei anderen Entscheidungsprozessen mitzuwirken, erfolgt eine moralische Anerkennung.
Die dritte Ebene ist die kulturelle Ebene. Dessen wesentlicher Kern ist die Bildung emotionaler Beziehungen beispielsweise auf der beruflichen oder privaten Ebene. Dies führt dann zur emotionalen Anerkennung (vgl. Anhut/Heitmeyer, 2000: 55ff.).
„Die These besagt nun, dass Desintegrationsängste bzw. -erfahrungen, die immer auch mit Anerkennungsverlusten und -beschädigungen verbunden sind, dazu führen, sich selbst aufzuwerten durch die Abwertung anderer, […]“(Heitmeyer, 2007: 172).
Demnach kann durch eine gelungene Integration auf unterschiedlichen Ebenen zu Anerkennung in verschiedenen Bereichen führen. Desto weniger Anerkennung in den jeweiligen Bereichen erzielt wird, desto höher ist das Risiko zur Gewaltbereitschaft, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit.
Unberücksichtigt werden in dieser Theorie jedoch die individuelle Anerkennungsbilanz. Dies bedeutet, dass jeder Mensch anders mit bestimmten Situationen umgeht und dass nicht jeder Mensch, der Ausgrenzungserfahrungen durchlebt hat rechtsextremistisch wird (vgl. Anhut, Heitmeyer 2000: 57f.).